Kanban-Board – so wie es richtig sein sollte

Über die Verwendung eines Kanban-Boards im Scrum-Kontext muss sicher nicht mehr viel geschrieben werden. Obwohl Scrum die Kanban-Methode nicht vorgibt wird das Kanban-Board als Quasi-Standard für das Sprint-Backlog verwendet.

Ein paar Rahmen-Fakten: Wir sprechen hier vom „Kanban in der IT„, nicht vom „Kanban in der Produktion„. Das Kanban-Board besteht in der einfachsten Ausführung aus 3 Spalten: Todo/offen, in Arbeit/im Prozess, fertig/done. Es können auch mehr Spalten vorkommen.

Als gesetzt gilt, unabhängig von der Anzahl der Spalten, dass links mit der Spalte „Todo/offen“ begonnen wird. Und rechts die fertig bearbeiteten Arbeitskarten in die Spalte „fertig/done“ einsortiert werden.

klassisches Kanban-Board: 3 Spalten (Todo, In Arbeit, Fertig)

Und hier wird es interessant: Denn eigentlich wurde das Kanban-Board in die „westliche Welt“ falsch aus dem Japanischen übernommen.

(Dabei fällt mir übrigens wieder der Vortrag von Lars Vollmer ein: Erfolgreiche Menschen werden beobachtet und was sie tun als hilfreiche Methode bezeichnet. Wer es eilig hat: 18:25 bis 22:05)

Denn in Japan wird japanisch gesprochen, geschrieben und gelesen. Die Schriftzeichen werden in Spalten von rechts nach unten gelesen und dann in der nächsten Spalte geht es weiter.

Leserichtung der japanischen Schrift

Zum Vergleich: in den europäischen Sprachen (z.B. Deutsch, Englisch, Französisch) lesen wir von links nach rechts und dann die nächste Zeile.

Kurz: Die Leserichtung ist komplett anders.

Leserichtung europäische Sprachen

Stellt sich ein japanischer Mitarbeiter vor einem Kanban-Board, dann liest er zuerst die rechte Spalte (fertig/done). Steht ein deutscher Mitarbeiter vor dem Board, dann liest er zuerst die linke Spalte (Todo/offen).

Der japanische Mitarbeiter sieht zuerst die fertige Arbeit und freut sich über den Erfolg. Der deutsche Mitarbeiter sieht zuerst die noch zu leistende Arbeit und ist verärgert über die viele anstehende Arbeit.

Möchte der japanische Mitarbeiter die nächste Aufgabenkarte in die Spalte „in Arbeit/in progress“ ziehen, dann zieht (!) er die Karte (von links nach rechts) entgegengesetzt seiner Leserichtung (von rechts nach links). Pull-Prinzip.

Der deutsche Mitarbeiter drückt (!) die Karte (von links nach rechts) mit der Leserichtung (ebenfalls von links nach rechts). Push, auch wenn es weiterhin das Pull-Prinzip ist (er zieht sich die Karte aus Sicht der „in Arbeit“-Spalte von „todo“ in „in Arbeit“).

Würden wir das Kanban-Board drehen, so dass links „fertig/done“ und rechts „in Arbeit/in progress“ steht , dann hätten wir quasi das gleiche „japanische“ Gefühl. Wir sehen zuerst die fertigen Aufgaben. Und wir ziehen uns (entgegen der Leserichtung) die Aufgaben in die mittlere Spalte.

Kanban-Board mit gespiegelter Spaltenreihenfolge (Todo-Spalte rechts statt links)

Es ist ein kleiner Kniff, der die Arbeit verändert.

Philippe Bourgau konnte damit seine Circle-Time verbessern. Die Kommentare unter dem Artikel berichten von den gleichen positiven Veränderungen. Ich kann der Beobachtung zustimmen. Nur leider lassen sich in Jira die Spalten nicht drehen. Dort wird die letzte Spalte weiterhin als „Done“-Spalte in den Statistiken ausgewertet.

Philippe Bourgau hat sich dem Thema noch weiter angenommen und schlägt in einem weiteren Beitrag sogar nicht nur ein gespiegeltes, sondern auch ein um 90Grad gedrehtes Kanbanboard vor. So dass das Kanban-Board aus 3 Zeilen besteht:
1. Zeile (oben): „fertig/done“
x. Zeile: „in Arbeit/in progress“
letzte Zeile (unten): „todo/offen“.

alternatives Kanban-Board: Zeilen statt Spalten

Somit würde das Board in den „korrekten“ Lesefluss gebracht, wie es im Japanischen auch wäre.

Der voll Fokus unseres Lesens, und somit auch der Aufmerksamkeit, würde auf die fertige bzw. in Arbeit befindliche Arbeit gerichtet werden. Die noch nicht begonnen Aufgaben sind ersteinmal zweitrangig. Arbeit fertig machen statt die nächste neue Arbeit starten. In digitalen Boards hätte es noch den charmanten Vorteil, dass die offenen Aufgaben eventuell erst durch ein Herunterscrollen der Seite sichtbar wird.

Probiert es aus und hinterlasst in den Kommentaren eure Erfahrungen und Meinungen.


Mehr Inspirationen für kreative Kanban-Boards: https://scrumschau.wordpress.com/2018/08/27/kreative-scrum-boards/


Update [18.7.2019]:

Adrian Christen weist darauf hin, dass man sich auch mit dem „Standard-Kanban-Board“ behelfen kann, in dem man von rechts nach links die Spalten liest.
Anmerkung von mir: Das wäre eine Notlösung. Sie ist aus meiner Sicht nicht so richtig intuitiv.

Wenn man nach „mirrored Kanban Board“ sucht, dann findet man einen Artikel vom 31. August 2015 von Tomas Rybing mit der Frage „Could this be the world’s first mirrored kanban board?

Tristan Slominski spricht in seinem Blogbeitrag am 10.2.2018 einen weiteren interessanten Punkt an: dadurch, dass jetzt links die Done-Spalte (Vergangenheit) und rechts die Todo-Spalte (Zukunft, Vision) sich befindet, ergibt das ganze sogar einen weiteren logischen Sinn. Das Board kann als eine Art Zeitstrahl gelesen werden. Die „in Arbeit“-Spalte in der Mitte repräsentiert somit den jetzigen Zeitpunkt und nach rechts (wie auf einer x-Achse, auf der nach rechts die Werte größer werden) wird die Zukunft abgebildet.

Update [25.5.2022]:

Die Erklärung mit dem „japanischen Kanbanboard“ ist nicht korrekt. Das Kanban-Board, so wie wir es kennen, wurde erst Anfang der 2000er-Jahre entwickelt (siehe z.b. Wikipedia-Artikel). Den Effekt des umgedrehten Kanban-Boards tut es kein Nachteil.

4 Kommentare zu „Kanban-Board – so wie es richtig sein sollte

  1. Lieber Conny danke für Deine Überlegungen, Du hast soeben die SokratesMap ein zweites entwickelt, cool. Es ist genauso wie Du es beschreibst. Das Fertige wandert nach oben zu den Werten – dort warten noch andere Werte, die ggf. external geschaffen wurden. In der Mitte befinden sich die laufenden Arbeiten, sie sind das Angebot, das abgearbeitet wird, ggf. wird das Angebot noch ergänzt nzw. innoviert während der Entstehung und ganz unten sind die Massnahmen aufgeführt, deren Reihenfolge der Bearbeitung sich je nach den Werten (sie oben) bzw. nach den Angeboten anpassen kann.
    Das Ganze entspricht einer sinnorientierten Arbeit, nicht Objekte werden von Robotermenschen abgearbeitet, sondern Menschen entwickelt mit ihrem Geist Dinge zu Materie, zu Werten. Übrigens ganz oben links, über dem sokratischen KANBAN (SokratesMapConcept for KANBAN) wird noch der Zweck (purpose), also das wofür man am Ganzen arbeitet, aufgeführt.

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  2. Das ist ja cool. Ich werde das direkt Mal so umsetzen und das Gefühlte austesten. Sharepoint kann das und ist nur eine andere Reihenfolge von Views…

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